Startseite > Bauen, Umwelt & Verkehr

Siegerentwurf vom Büro JOTT architecture and urbanism aus Frankfurt am Main

Das Büro JOTT architecture and urbanism aus Frankfurt am Main hat den Städtebauwettbewerb der Stadt Winnenden und der Internationalen Bauausstellung 2027 StadtRegion Stuttgart (IBA’27) gewonnen. Der Entwurf für ein produktives und lebenswertes Stadtquartier der Zukunft mischt Flächen für Industrie, Gewerbe, Wohnen und Freizeit in neuartigen dichten und urbanen Baublöcken, die in großzügige, gemeinschaftlich genutzte Freiräume eingebettet sind. Der Juryvorsitzende Prof. Tim Rieniets lobt den Entwurf als „ein echtes Pionierprojekt und ein Gewinn für Winnenden und die Region Stuttgart“. IBA’27-Intendant Andreas Hofer sagt, das Projekt sei ein „Meilenstein für die IBA“ und versöhne Wohnen mit Produktion und Landschaft in einem urbanen Raum. Oberbürgermeister Hartmut Holzwarth spricht von einem „Glücksfall für Winnenden“, der ein „echtes Vorbild für andere produktive Stadtquartiere in nah und fern“ werden könne.

Industriehallen, ein Handwerkerhof und Werkstätten, ein Start-Up-Haus, klassische Büros und Co-Working-Spaces, Labore und Ateliers, eine Kita und ein Mobilitätszentrum, ein Hofladen, ein Café, vielleicht eine Besenwirtschaft. Darüber Dachgärten und Gewächshäuser sowie unterschiedlichste Wohnungen mit Blick ins Grüne. Das alles in sieben gemischten und dicht gebauten Häuserblöcken, in deren innenliegenden Höfen städtische Betriebsamkeit herrscht. Nach außen wenden sich diese produktiven Cluster, in denen gearbeitet und gewohnt wird, auf großzügige Freiräume: sie durchziehen das ganze Quartier, verbinden die Häuserblöcke und werden als Allmende gemeinschaftlich genutzt – als Streuobstwiesen beispielsweise oder auch Bolzplätze. An einer lebendigen Hauptachse mit hoher Aufenthaltsqualität reihen sich kleine Plätze und Gemeinschaftseinrichtungen auf, Fußgänger und Radfahrerinnen haben Vorfahrt. Autos finden in zwei Quartiersgaragen am Rand Platz. In Richtung Innenstadt und Bahnhof bildet ein Marktplatz das einladende Entrée.

Dieses Bild zeichnet der Entwurf von Prof. Dr. Janna Hohn und Josh Yates vom Büro JOTT architecture and urbanism (Frankfurt am Main) für das Produktive Stadtquartier Winnenden. Das neue Stadtviertel soll auf einer etwa 5,5 Hektar großen Fläche zwischen dem Bahnhof Winnenden und der Bundesstraße B 14 entstehen. Am 24. Februar 2021 hat das Preisgericht den Wettbewerbsbeitrag des Büros aus insgesamt 34 Einreichungen ausgewählt und einstimmig mit dem ersten Preis ausgezeichnet.

„Politik und Fachwelt sind sich schon seit langem darüber einig, dass Produktion und Gewerbe wieder zurück in die Städte kommen sollen“, erläutert der Juryvorsitzende Prof. Tim Rieniets. „In der Realität ist das aber leider oft nicht der Fall. Überall ist zu beobachten, dass stadtnahe Handwerks- und Produktionsbetriebe lukrativeren Nutzungen wie beispielsweise Wohnprojekten weichen müssen. Das produktive Stadtquartier in Winnenden ist ein echtes Pionierprojekt, weil es exemplarisch zeigen kann, wie Wohnen und Arbeiten in einem attraktiven Stadtquartier verschmelzen.“ Der Siegerentwurf zeige auf vorbildliche Weise, wie sich eine hohe bauliche Dichte erreichen lässt, ohne auf großzügige Grünräume verzichten zu müssen, so Rieniets weiter: „Das Preisgericht war davon überzeugt, dass der Entwurf insgesamt die hohen Anforderungen der IBA’27 erfüllt und ein echter Gewinn für die Stadt Winnenden und die Region sein wird.“

Hartmut Holzwarth, Winnendens Oberbürgermeister, betont: „Seit 1212 ist Winnenden Stadt und hat lange Landwirtschaft, Handwerk, Gewerbe und Gemeinschaftsorte in den Funktionen Wohnen, Arbeiten und soziale Begegnung verbunden. Die Moderne trennte diese Funktionen jedoch in räumlich entfernte Bereiche auf. Der vom Büro JOTT entworfene und vom Preisgericht ausgewählte Quartiersplan reintegriert diese Funktionen sensibel in einem schlüssigen städtebaulichen Zukunftsmodell, klimafreundlich und sozial vernetzt. Dieser komplexe neue Ort kann daher ein echtes Vorbild für andere produktive Stadtquartiere in nah und fern werden. Es ist ein Glücksfall für Winnenden, diese herausfordernde Aufgabe im Rahmen der IBA‘27 mit allen Beteiligten angehen zu können.“

Die produktive Stadt, also die Verbindung von Wohnen, Arbeiten und Freizeit in dichten und lebenswerten Quartieren, steht im Mittelpunkt der IBA’27. „Für die IBA ist der Wettbewerb ein Meilenstein“, sagt der IBA’27-Intendant Andreas Hofer. „Die Stadt Winnenden hat sich entschlossen, zu zeigen, wie Alternativen zu den ausufernden reinen Gewerbegebieten aussehen können, und dabei gleichermaßen der Flächenknappheit für die Industrie und dem Mangel an bezahlbaren Wohnungen zu begegnen.“ Der Entwurf versöhne Wohnen mit Produktion und Landschaft in einem urbanen Raum, so Hofer. „Er erzählt die Geschichte der produktiven Stadt aus den spezifischen Qualitäten der Region und des Standorts heraus: Von der kleinteiligen Selbstversorgerlandwirtschaft in Tradition der Stückle, über Räume für Garagentüftler, Startups und etablierte Handwerksbetriebe bis hin zu Laboren und Produktionsflächen für die Hightech-Industrie – ergänzt mit vielfältigen Wohnangeboten, die urbanes Leben mit Gemeinschaft und grünen Außenräumen verbinden. Wenn die Kommune den eingeschlagenen Weg systematisch weiterverfolgt, könnte hier ein Vorzeigequartier für die Menschen und Firmen in Winnenden entstehen, auf das im IBA-Präsentationsjahr 2027 die Welt schaut.“

Zusammenstellung der Pläne und Erläuterungen | 1. Preis vom Büro JOTT architecture and urbanismaus Frankfurt am Main (3,759 MB)

Im nächsten Schritt wird die Stadt Winnenden das Büro JOTT architecture and urbanism auf Grundlage ihres städtebaulichen Entwurfs mit der Rahmenplanung beauftragen. Nach Abschluss der amtlichen Neuordnung der Grundstücke steht fest, für welche zusammenhängenden Baublöcke die Stadt als Eigentümerin Grundstücke zu vergeben hat. Im Rahmen einer Konzeptvergabe werden Grundstücke nicht nach Höchstpreis, sondern nach dem besten Konzept vergeben. Bis zum IBA-Präsentationsjahr 2027 werden erste Bausteine des neuen Winnender Quartiers sichtbar sein.

Forum Dialog zum Produktiven Stadtquartier Winnenden

Am 26. Februar 2021 wurde bei einer Online-Veranstaltung der Siegerentwurf vom Büro JOTT architecture and urbanism aus Frankfurt am Main vorgestellt. Außerdem sprachen der IBA'27 Intendant Andreas Hofer, Oberbürgermeister Hartmut Holzwarth und die Stadtexpertin Prof. Ute Margarete Meyer über das neue Winnender Stadtquartier. Die Aufnahme können Sie weiterhin auf dem YouTube-Kanal der Stadtverwaltung Winnenden anschauen.

Ihre Fragen im Chat

Während der gesamten Veranstaltung wurde ein Chat in slido eingerichtet in dem Sie Ihre Anregungen und Fragen schreiben könnten. Einzelne Fragen wurden in der Abschlussrunde vom IBA'27 Intendanten Andreas Hofer, Oberbürgermeister Hartmut Holzwarth und der Stadtexpertin Prof. Ute Margarete Meyer beantwortet. Der slido Event-Code lautet # 422 (also IBA). Mit der iOS App und der Android  App von Slido können nach der Eingabe des slido Event-Codes # 422 ebenso Fragen gestellt und Stichworte in die word cloud, eine Wortwolke mit den am meisten eingegebenen Stickworten und kurzen Sätzen, eingegeben werden. Die Fragen werden im Nachgang an dieser Stelle beantwortet.

-

Preise und Anerkennungen vergeben

Auf der folgenden Seite veröffentlichen wir die Wettbewerbsarbeiten, die mit Preisen und Anerkennungen vom Preisgericht belohnt wurden.

Zu den Preisträgern und Anerkennungen

Das sagt das Preisgericht zum Siegerentwurf

Das Projekt schlägt eine längs orientierter Feldstruktur vor, die in der Mitte gebrochen wird. Versetzte Cluster lassen Zwischenräume für eine „Feldlandschaft“ frei, die den Anschluss an den landwirtschaftlichen Charakter sucht. Die Anlieferung der Cluster erfolgt im Inneren, sodass eine Polarisierung zwischen Innen (produktive Stadt) und Außen (Landschaftsraum) entsteht.

Die Querbürstung der Freiräume stellt eine interessante Vernetzung mit der Umgebung her. Sie bricht den Maßstab des neuen Quartiers auf und schafft einen Übergang vom Landraum zum Stadtraum. Das Quartier ist extrovertiert konzipiert: es gibt über die Landschaftsfinger Ein- und Durchblicke frei und öffnet sich zur Umgebung.

Über die Mittelachse wird eine lineare Zentralität geschaffen, die die einzelnen Cluster zusammenhängt.

Indem die Anlieferung ins Innere der Cluster gelegt wird, werden die Freiräume von Verkehr weitgehend freigehalten. Eine unversiegelte intensive Begrünung ist hier möglich, auch wenn eine echte landwirtschaftliche Nutzung in Zweifel gezogen wird. Der landschaftliche Charakter kann auch über Streuobstwiesen oder nutzbare Wiesen erreicht werden.

Die Höhen stufen sich nach Süden hin ab, mit einer Höhenentwicklung von 2-5 Geschoßen an der Schwaikheimer Straße wird der Anschluss an den Bestand gesucht. Zur Gärtnerei scheint die Bebauung etwas zu nahe zu rücken bzw. zu hoch zu sein.

Das Wohnen ist in fast alle Cluster integriert und orientiert sich immer durchgesteckt nach außen, zu den großen Freiräumen. So partizipiert es sowohl an der Urbanität der Nutzungsmischung als auch an der Großzügigkeit der Freiräume und ihrer Ausblicke in die Landschaft.

Die Anordnung gemeinschaftlicher Nutzungen entlang der zentralen Achse schafft eine offen Quartiersmitte. Die Setzung der KITA an der Schwaikheimer Straße scheint beliebig, diese würde an der Achse mehr Sinn machen.

Lose Cluster von Einzelgebäuden in unterschiedlichen Typologien (Baukasten) werden durch die Freiraumfigur zusammengehalten. Die Setzung wirkt teilweise etwas beliebig, aber die versetzten Fluchten geben den Clustern auch eine gewisse Offenheit, die positiv gesehen wird – auch weil dadurch Spielräume in einer künftigen Konkretisierung gegeben sind.

Die zwei Quartiersgaragen im Norden wirken zu dominant. Die Plätze in der ersten Reihe sollten an repräsentativere Nutzungen vergeben werden, um den Auftritt des Quartiers bewusster zu inszenieren. In Richtung Stadt und Bahnhof öffnet sich das Quartier mit dem Marktplatz als einladendes Entree.

Es wird eine graduelle Durchmischung von Nord-West nach Süd-Ost vorgeschlagen, mit reinem Gewerbe In Richtung Knoten und einem zunehmenden Anteil von Wohnen Richtung Osten und Süden. Das Wohnen findet fast in allen Clustern Platz. Durch das Nachinnenkehren der Anlieferung werden Lärmkonflikte gelöst werden (Inside-Out-Cluster). Ein Baukasten von Standardtypologien ist flexibel anpassbar und verspricht Spielräume in der Entwicklung.

Die Anlieferung des Gewerbes muss jedoch auf Grund der kompakten Innenhöfe leider den Freiraum queren, wodurch eine starke gegenseitige Abhängigkeit entsteht. Die Wenderadien und Schleppkurven scheinen sehr eng und unpraktikabel.

Das Potential der Freiräume als Aneignungs- und Experimentierflächen wird nicht erkannt. Denn gerade die Aktivierung der Freiräume im Sinne der Produktiven Stadt – über die landwirtschaftliche Nutzung – könnten helfen, eine ortsspezifische Antwort auf das Thema zu finden.

Die Qualität des Erschließungskonzepts zeichnet sich durch den verkehrsfreien inneren Bereich aus. Hier können sich Fußgänger und Fahrradfahrer fortbewegen. Entlang der Quartiersroute finden sich die Gemeinschaftsräume und Möglichkeiten zur Fahrradabstellung.

Mit dem Auto gibt es die Möglichkeit in den zwei Quartiersgaragen im Norden an der Marbacher Straße zu parken. Diese können dadurch den Verkehr im Quartier abfangen. Zusätzliche Parkmöglichkeiten gibt es in den teiloffenen Tiefgaragen im Süden.

Die Anlieferung mit den LKWs erfolgt über die einzelnen Höfe. Hierbei stellen sich die Verkehrswege und Wendemöglichkeiten als schwierig heraus. Es folgen mehrere Durchfahrtsstraßen über die Ortsmitte führend. Dadurch entsteht eine Abhängigkeit zwischen den verschiedenen Clustern durch ein Einbahnstraßenmodell.

Die Lärmbelastung der Wohnmöglichkeiten wird durch das Nachaußenkehren des Wohnens von dem Gewerbelärm aus den Innenhöfen weggelenkt und reduziert. Dadurch sind einige Wohnungen aber auch Richtung Marbacher Straße gewandt, die dort eine höhere Lärmbelastung haben. Ansonsten ist das gesamte Wohnen im Osten des Quartiers angesiedelt wodurch die Lärmbelastung der B 14 stark reduziert wird.

Bei der Realisierung der Baustufen besteht eine große Abhängigkeit zwischen den Clustern durch die Abhängigkeit der Anlieferungen und Lieferwege. Die rationalen Baukörper bieten eine wirtschaftliche Erreichbarkeit durch die Möglichkeit der Entkopplung, wodurch das Projekt flexibel gebaut werden kann.

Durch die landwirtschaftlichen Flächen bietet sich ein gutes Mikroklima. Diese Grünflächen werden jedoch durch die mittlere urbane Achse getrennt, wodurch keine zusammenhängenden Grünflächen entstehen können. Jedes Gebäude hat trotzdem einen direkten Zugang zu einer Grünfläche. Die Orientierung der Gebäude mit den Wohnungen sind nach Ost-West orientiert, was keine optimale Energetik bieten kann.